Samstag, 23. Februar 2013

Das Habitat des dänischen Schneespringers

Es ist acht Uhr am Samstagabend, und ich sitze in meinem Büro an der Uni.

Ich dachte, ich werfe das mal in den Raum, bevor hier noch der Eindruck entsteht, ich wäre im Schlaraffenland gelandet. Ja, die Arbeitsbedingungen sind gut, aber dafür arbeiten wir hier auch hart und lang - nur eben schöner, mir vollverglasten Konferenzräumen, guten Kaffeemaschinen und so weiter. Seit gestern versuche ich, drei unterschiedliche Theorien von Zeit im Computerspiel vergleichend aufzubereiten, die wir in der nächsten Sitzung diskutieren wollen. Jede der Theorien ist für sich genommen verständlich und sinnvoll, aber auch recht umfangreich, und da alle über die gleichen Gegenstände schreiben, liegen die Unterschiede in den Details versteckt. Und wer mich schon mal an der Uni hat vortragen hören, weiß dass ich so etwas nicht ohne Schaubilder und Animationen mache. Deswegen komme ich bestimmt auch morgen nochmal her, damit ich sicher sein kann, dass ich in der Sitzung am Dienstag alles im Griff habe.

Dass ich hier an der Uni sitze und nicht, wie ich das in Deutschland tun würde, meine Seminare von zu Hause aus vorbereite, hat natürlich auch andere Gründe. Es ist hier geselliger - irgendwer arbeitet hier eigentlich immer, meistens unser maltesischer Doktorand Daniel -, und die Arbeitsbedingungen sind besser, vor allem Bürostuhl und Schreibtisch. Und so sehr ich es mir auch in meinem Zimmerchen gemütlich gemacht habe, ist es eben doch kein Zuhause, sondern nur eine Wohnung.


Mein Zimmer - oder wie meine Frau das wegen des sonderbaren Grundrisses so schön sagt: meine Bienenwabe - ist hell, freundlich und weder zu klein noch zu groß. Der Ausblick ist nicht doll, aber auch nicht scheußlich, und im Sommer ist der Innenhof sicher auch noch freundlicher anzuschauen als jetzt. Und da die Wohnung an einer (für hiesige Verhältnisse) stark befahrenen Straße liegt, bin ich ganz froh drum, dass mein Zimmer nach hinten raus liegt. Aber auch in der Hinsicht kommt mir Kopenhagen wie das Tal der Seligen vor, wenn ich an meine Zeit in der Herner Straße in Bochum zurückdenke. Dass einen Verkehrslärm noch im zweiten Stock aufwecken kann, hätte ich mir vorher nie (alb)träumen lassen.

Die Wohnung liegt im Westend - Vesterbro -, wo früher vor allem Schwerindustrie und Fleischfabriken angesiedelt waren (guckst du hier und hier). Heute ist davon, soweit ich sehen kann, nur noch die Carlsberg-Brauerei übrig geblieben. In den letzten zwanzig Jahren hat die Stadt dort einiges an Geld reingesteckt, und heute hat der Stadtteil so einen halbschmuddeligen Kiez-Charme. Mein Mitbewohner vergleicht es gern mit Berlin, und ich denke, er hat da nicht unrecht. Im Sommer ist es hier, genau wie im Rest der Stadt, sicher auch noch wesentlich freundlicher als jetzt. Es ist aber unverkennbar, dass die Häuser Industrie-Mietskasernen waren. Die Bauweise ist ganz solide, wenn auch altmodisch - wir haben eine Hintertreppe! -, aber die Wohnungen sind ziemlich klein und verwinkelt. Nicht einer der Räume ist vollständig quadratisch, aber das macht es irgendwie auch urig. Die Küche ist gerade groß genug, damit sich zwei Erwachsene nicht auf die Füße treten müssen, was man vom Flur nicht sagen kann. Ohne Schmusen ist da nicht aneinander vorbeizukommen, was zu einer Menge Rangierverkehr führt.

Wirklich winzig ist unser Bad. Aber auch das hat seine Vorteile. Immerhin weiß ich jetzt, was sich hinter dem Wort "Nasszelle" verbirgt. Wer auf dem Suchbild genau hinschaut, wird die kuschelige Nähe von Toilette und Waschbecken ebenso mühelos bemerken wie die nahtlose Integration von Duschbereich und Rest-Badezimmer. Das hat einen unschätzbaren didaktischen Wert, denn dieses Arrangement macht es ganz unvermeidlich, nach jedem Duschen - und andere Formen der Körperhygiene sind in der Enge und an dem winzigen Waschbecken ironischerweise auch nicht drin -  mit Abzieher und Putzlappen alles trockenzulegen. Es sei denn, man zieht es vor, beim nächsten Pipimachen knöcheltief in abgestandenen Duschwasser zu stehen. Das hätte zwar sicherlich harnfördernde und kneippsche Qualitäten, wäre aber noch weniger mit dem Massengeschmack vereinbar als die Alternative. Wer also seine Mitbewohner partout nicht dazu erziehen kann, hinter sich kurz in der Duschkabine aufzuwischen, dem sei die Verlegung der Toilettenschüssel in die Dusche empfohlen. Das wirkt, ich kann es nicht genug betonen, wahre Wunder.

Immernoch neidisch?

2 Kommentare:

  1. Alles in allem: ja. :)

    Dass du in Dänemark hart arbeitest glaub ich dir, ist bei dir in Deutschland ja auch nicht anders. Wahrscheinlich sitzt du jetzt gerade in deinem Büro und bastelst an den Animationen für deine Präsentation. Zimmer, Ausblick und Küche finde ich gut bis schnuckelig-schön und ich hoffe, dass du dich in deinem Viertel wohlfühlst. Das Bad ist zugegebener Maßen kleiner als ein Bad im Wohnheim E, vielleicht hälst du mal Auschau nach öffentlichen Badeanstalten oder gar einer Sauna (sind die Dänen da so wie die Finnen?).

    Bleib nicht mehr so lange im Büro, sondern erkunde lieber die nahegelegene Brauerei (oder Etablissements, die ihr Produkt verkaufen).

    Viele Grüße

    Silke

    PS: Schneespringer....ich kenn nur Skispringer. ;)

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  2. Lieber Hajo,

    bin übrigens auch als Gelegeneheitsleser gespannt dabei. Alles Gute und noch viel Spaß da drüben!

    Grüße
    heiko

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