Donnerstag, 28. Februar 2013

Spaß mit Zombies

Selbst unter Geisteswissenschaftlern gehen die Meinungen stark auseinander, was würdige und ernstzunehmende Forschungsgegenstände sind. Literaturwissenschaftler sind sich einig, dass es okay ist, mit dem Lesen von Literatur Geld zu verdienen, aber damit hat sich die Einigkeit auch schon. Was genau diese 'Literatur' ist, daran scheiden sich nämlich die Geister. Oder vielmehr daran, welche die echte, die beste, die wichtigste ist.

Einer der unterhaltsamsten Zeitvertreibe auf wissenschaftlichen Tagungen ist, andere beim Kennenlernen zu beobachten und ihre notdürftig kaschierte Irritation oder Geringschätzung zu bemerken. Nun liegt es irgendwie in der Natur der Sache, dass sich Menschen, die man regelmäßig ans Pult von Vorlesungssälen stellt, für cleverer als andere halten. Die Dynamik, die das unter Kollegen mitunter gewinnt, ist aber wirklich unterhaltsam (solange man sich das von außen anschauen kann). Der Goethe-Spezialist hält sich prinzipiell für die Krone der Schöpfung, wird aber vom Shakespeare-Experten müde belächelt, während sich der Nachwuchswissenschaftler mit Interesse an Twitter-Haikus über beide Dinosaurier nur wundern kann. Die drei sind sich in der Regel erst dann einig, wenn jemand wie ich aufläuft und über Comics oder Computerspiele redet. Dann wissen sie plötzlich sehr genau, was Literatur ist, was Kunst, und was Wissenschaft.
Ein Teil von mir (ich weiß aber nicht, welcher) freut sich schon auf die Mischung aus Verwunderung, Unverständnis und Amüsement auf den Gesichtern arrivierter Kollegen, wenn ich erzähle, was ich hier so getrieben habe. Die wenigsten Kollegen jenseits der - greifen wir mal nicht zu niedrig - fünfzig werden schon keinerlei Verständnis haben, was ich als Philologe an einer IT-Universität treibe, was sich durch Erwähnung des Begriffs "Computerspielforschung" nicht maßgeblich ändern dürfte. Wahrscheinlich sollte ich denen gegenüber gar nicht erst erwähnen, dass wir in dem Seminar, dass ich mit meinem Kollegen unterrichte, auch einen inhaltlichen Schwerpunkt haben: Zombies.

Zombies sind in den letzten Jahren so allgegenwärtig gewesen wie Vampire. Auffällig ist aber, dass sich diese zwei Geschmacksrichtungen von Untoten immer weiter voneinander entfernen. Während Vampire jetzt brav ihr Abitur machen, niedlich im Sonnenlicht glitzern und keinen Sex vor der Ehe haben, werden Zombies immer unangenehmer, bedrohlicher, aggressiver. Es ist schon fast ein Gemeinplatz, dass die Twilightisierung des Vampirstoffs ein aussagekräftiger Beleg für einen neuen Konservativismus ist, der in Edward und Bella ihre blassen, gut frisierten Ikonen gefunden hat, die bestenfalls für Altachtundsechziger ihren Schrecken haben - nicht als Blutsauger, sondern als fleischgewordener Grabstein der sexuellen Befreiung. Wenn die Schwangerschaft mit einem technisch gesehen untoten Baby von der Trumpfkarte der anständigen amerikanischen Familie gestochen wird, ist der Zug für die selbstbestimmte Sexualität junger Frauen abgefahren, und zwar wieder zurück ins Dampflokmuseum des neunzehnten Jahrhunderts.

Während Vampire völlig vergessen zu haben scheinen, dass sie ursprünglich mal eine Mischung aus Schreckgespenst und Lustphantasie waren, wandeln sich Zombies zwar auch ständig, aber auf völlig andere Weise. Peter Dendle bringt es ganz schön auf den Punkt, wenn er sie als Barometer kultureller Angst bezeichnet. Der entseelte wandelnde Tote behält seinen Schrecken, weil er die Antithese dessen ist, was wir als menschlich identifizieren. Es gibt dafür im Englischen das Konzept des Uncanny Valley, das besagt, dass uns nichts mehr verstört als unvollkommene Menschenähnlichkeit. Dendle argumentiert, dass wir vor hundert Jahren, als Zombies zum ersten Mal in westlichen Kulturen in der Populärkultur auftauchten, in erster Linie von der Seelenlosigkeit dieser Kreaturen fasziniert und abgestoßen waren. Frühe Zombie-Figuren sind die Marionetten abgrundtief böser Voodoo-Magier - in der Filmhistorie natürlich niemand anders als Bela Lugosi -, aber spätestens in den 1970ern wandelt sich das Bild zu den hirnfressenden, blutüberströmten Menschenmassen, die wir heute mit dem Begriff assoziieren. Wenn Zombies heute eine metaphorische Dimension haben, dann ist es nicht mehr die Angst vor der Fremdbestimmtheit und Entseeltheit des gesichtslosen Industriearbeiters, sondern vielmehr das wachsende Unbehagen gegenüber der Ziellosigkeit und spirituellen Leere unseres Freizeit- und Konsumzeitalters. Max Nordau hat sich noch vorgestellt, dass der Mensch des Informationszeitalters ein - ich paraphrasiere ein wenig - Übermensch sein müsste, weil er täglich Mengen an Information verarbeitet, die fünf Generationen vorher noch ein ganzes Leben gereicht hätten. Unsere Faszination mit Zombies scheint in eine andere Richtung zu deuten, wenn man Dendle glaubt, der Zombies als Verkörperung des nicht zu sättigenden Hungers nach Information und Konsum in unserer Zeit versteht.

Aber wir leben ja schließlich auch noch immer im postmodern-ironischen Zeitalter - wie sonst wäre es zu erklären, dass sich Leute in großen Städten Europas regelmäßig den Spaß eines Zombie-Flashmobs machen? Mein Kollege Espen, unsere Studis und ich haben jedenfalls jede Menge Spaß mit Zombies. Und sie sind auch wirklich allgegenwärtig: zwei Kollegen haben sich gestern beim Mittagessen über das Zombie-Spielen ihrer drei und vier Jahre alten Kinder unterhalten. Auch aus der Geschichte der Computerspiele sind sie nicht wegzudenken; von Resident Evil hat ja vielleicht schonmal jemand gehört, auch noch bevor es eine erfolgreiche Filmreihe geworden ist.

Und weil wir hier Spiele ernst nehmen, sind sie tatsächlich auch Teil des Curriculums. Im Moment spielen wir mit unseren Studenten als Gruppe DayZ, eines der schwierigsten, unfairsten und insgesamt ungewöhnlichsten Spiele, die ich kenne. Die Parallelen zum Literaturstudium sind sehr viel größer, als man vielleicht denken würde. Zwar ist es nicht weiter schwierig, an das Spiel selbst heranzukommen (anders als bei manchem vergriffenen Roman), aber die Installation ist ein größerer Horror als alles, was in der Spielwelt passiert, und auch danach verbringt man ebensoviel Zeit damit, sich mit der Technik herumzuschlagen wie mit dem Wegrennen vor Zombies. Auch sonst ist das, was wir tun, weit von einem Spielekränzchen entfernt. Allein schon andere beim Spielen zu beobachten, ist hochgradig aufschlussreich, denn bei Computerspielen hat man diese Gelegenheit ja nur in Ausnahmefällen. Danach ausgiebig darüber zu diskutieren, zu schreiben und die Ergebnisse im Seminar zu präsentieren ist dann methodisch eigentlich genau so wie die Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand in allen anderen geisteswissenschaftlichen Fächern. 

Was ich mir in der Beziehung noch genauer ansehen werde, ist die Beziehung von The Walking Dead - dem ziemlich guten Adventure, nicht der grauenhaften Fernsehserie - zu seiner Comic-Vorlage. Es gibt da einige spannende Fragen, aber das ist wahrscheinlich eher etwas für einen anderen Blogpost ...

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