Freitag, 28. Juni 2013

Gelebtes Brauchtum in der Metro

Seit diesem Wochenende habe ich ein Rätsel mit mir herumgeschleppt, dass ich mir eben erst von meinen dänischen Kollegen Rune habe lösen lassen können. Wenn man, wie ich, statt mit dem Rad mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, bekommt man von Kopenhagen leicht den Eindruck einer durch und durch versoffenen Stadt. Spätestens ab Feierabend-Zeit sind immer ein paar angeschickerte bis volltrunkene Zeitgenossen unterwegs, und in den letzten Tagen hatten auffällig viele von denen eine sehr sonderbare Kopfbedeckung auf. Heute morgen in der Metro war dann die kritische Masse erreicht, und ich musste einfach ein Bild machen.


Da ich ja langsam, aber sicher den Eindruck gewinne, jeglichen Anschluss an Modetrends zu verlieren - nicht in dem Sinn, dass ich Dinge selbst tragen würde, sondern einfach nur, zu verstehen, was gerade angesagt ist -, war ich vollständig darauf gefasst, dass das der neueste Copenhagen Style wäre. Selbst Rune, der König der Hipster, findet die Mützen aber uncool. In der Hinsicht bin ich also beruhigt.

Es handelt sich um Schulabgängermützen. Die Farbe des Bandes zeigt die Art des Abschlusses an. Auf der Rückseite ist der Name des Absolventen aufgedruckt oder -gestickt, und ins Zentrum der Innenseite schreibt man seine Abschlussnote. Offensichtlich sind eine ganze Menge Rituale mit der Mütze verknüpft. Man trägt sie direkt bei der Zeugnisverleihung und bei öffentlichen Auftritten. Da wir in Skandinavien sind, haben die meistens auch ganz offiziell etwas mit Alkoholkonsum zu tun. Viele Klassen mieten sich wohl einen Laster oder Bus und lassen sich dann zu den Häusern aller Klassenkameraden fahren, wo die Eltern Smörrebröd und Gammel Dansk servieren. Zwanzig, dreißig Eltern später hat man dann seine erste Lektion in Demut gelernt und ist reif, in die Erwachsenenwelt entlassen zu werden (und nie wieder so viel zu trinken).

Die coolen Kinder abenteuerlustigen unter den jungen Menschen bringen ihre Mützen dann auch zu den Partys in den kommenden Wochen mit, und ab da wird es dann vollends ritualistisch. Wer die Nacht durchmacht und die Sonne aufgehen sieht (was hier ja zur Sommersonnenwende schon um vier ist), darf sich mit der Schere ein kleines Dreieck in den Mützenschirm schneiden. Wer einen Kasten Bier allein trinkt, verdient sich ein Quadrat. Wer kotzen muss ... nun, es spricht für Rune, dass er nicht wusste, welches Symbol man sich damit verdient, aber das ist dann wohl die Schnittmarke, die einem von den anderen verpasst wird.

Überhaupt kommuniziert man auch über die Mütze. Freunde schreiben sich gegenseitig Nachrichten in die Innenseite, und Schwärme und Flammen dürfen ihre Abschiedsgrüße (oder Wiedersehenswünsche) hinterm Schweißband verstecken. Wenn also einen Dänen kennenlernen will, muss herausfinden, was er unter der Mütze hat ...

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