Freitag, 14. Juni 2013

Auf zu grünen Ufern

Gestern habe ich mir die Zeit genommen und meine Website mal wieder ein bisschen gepflegt. Es ist für die arme Akademikerseele immer ganz tröstlich, nach zwei Wochen mühsamer Kleinarbeit an einem hoffnungslosen Aufsatz Bilanz zu ziehen und zu sehen, dass es auch Erfolge und Ergebnisse gibt. Wenn alles läuft wie geplant, werde ich Ende des Jahres 29 wissenschaftliche Vorträge in 10 Ländern gehalten haben, zwar über einen Zeitraum von sieben Jahren, aber immerhin. Bei den Aufsätzen müsste ich bis Ende des Jahres die Dreißig knacken, und für nächstes Jahr sind schon fünf weitere in der Mache ... ich war also nicht faul.

Wenn ich erst einmal meinen monumentalen Kanon-Aufsatz zu Ende gebracht habe – dazu mehr, wenn ich das Trauma überwunden habe –, muss ich zwar noch ein paar andere Baustellen abarbeiten, aber auf die meisten davon freue ich mich schon. Besonders gespannt bin ich aber auf mein einzig echt neues Projekt für dieses Jahr: ein Konzept für ökologische Analysen von Computerspielen. Die Arbeit an den Computerspiel-Zombies in den letzten Monaten war sehr lustig, aufschlussreich und interessant, aber eigentlich bin ich kein Experte für Zombies. Andere haben da einen viel breiteren (und blutigeren) Horizont. Und, was noch viel entscheidender ist, es gibt schon so viel Literatur zu Horror in Spielen. Man könnte fast sagen, dass es der einzige Themenbereich ist, der überhaupt gut erforscht ist. Natürlich bin ich da nicht mit allem einverstanden, was ich gelesen habe – eigentlich sogar mit relativ wenig –, aber es ist anstrengend, immer dagegen zu sein, immer andere widerlegen zu müssen.

Mit der Ökokritik kann ich mal der erste sein, denke ich. Bis jetzt habe ich jedenfalls noch keine Forschung dazu gefunden, was auch nicht weiter überraschend ist, weil dieser Ansatz auch für Literatur erst zwanzig Jahre lang zum Einsatz kommt und erst vor kurzem in der Filmwissenschaft aufgenommen worden ist. Nachdem ich in den letzten Jahren hauptsächlich auf theoretischer Ebene mit verschiedenen Medien gearbeitet habe, ist das hier ein vergleichsweise praktisches Projekt. Die literarische Ökokritik ist nicht wahnsinnig theorielastig, und ihre Beobachtungen lassen sich, soweit ich das bis jetzt überblicke, recht einfach auf ihre Anwendbarkeit für Spiele überprüfen.

So ist eine der zentralen Beobachtungen dieser Forschungsrichtung, dass Naturbeschreibungen in Erzählliteratur viel mehr sind als bloßes Setting, und dass sich darin eine intensive Auseinandersetzung mit Natur-Mensch-Verhältnissen festmachen lässt. Das mag für Computerspiele zwar abwegig klingen, ist aber – die medialen Unterschiede mal beiseite gelassen – auch da zu beobachten. Wenn in Frogger in den frühen 80ern ein Frosch über eine vielbefahrene Straße gesteuert werden muss, ist das definitiv eine Auseinandersetzung mit Natur und Umwelt.

Was ich wirklich faszinierend finde, sind aber vielmehr die Spiele, die den Spieler bewusst in einen moralischen Zwiespalt bringen. Mein Kopenhagener Kollege Miguel Sicart hat in seinem exzellenten The Ethics of Computer Games die Beobachtung aufgestellt, dass ein wirklich ethisch interessantes Computerspiel den Spieler zum Nachdenken anregen muss, indem es ihn (wenn auch nur virtuell) in eine unmögliche Situation bringt. Ein sehr schönes Beispiel dafür ist Red Dead Redemption, das uns in Dialogen daran erinnert, dass die Büffel im Wilden Westen fast ausgestorben sind und damit an unser Ökogewissen appelliert. Es gibt aber ein Achievement, eine Auszeichnung für den Spieler, wenn alle Büffel abgeschossen werden. Dessen Titel, "Manifest Destiny," ist ein ironischer Kommentar auf die amerikanische Besiedelungspolitik des Westens, die Rücksichtslosigkeit gegenüber Natur und Ureinwohnern, und ist damit wenn schon keine Abschreckung, so doch zumindest ein deutlicher Hinweis darauf, dass wir vielleicht dieses spezielle Achievement nicht erreichen wollen. Gleichzeitig ist das implizite Ziel jedes Open-World-Spiels, alle Möglichkeiten der virtuellen Welt ausgeschöpft zu haben, und der Beleg dafür sind eben die Achievements. Red Dead Redemption bringt den Spieler also in die Situation, zwischen Ökogewissen und Ehrgeiz wählen zu müssen, die jeweilige Entscheidung zu rechtfertigen, vor sich selbst und vor Freunden, die das Achievement oder sein Fehlen bemerken, und zwingt damit ganz von selbst, ohne erhobenen Zeigefinger, zur Auseinandersetzung mit dem sonst so leicht zu verurteilenden moralischen Fehlverhalten der amerikanischen Siedler.

Wie man sieht, fällt es mir nicht schwer, zu dem Thema etwas zu sagen, und deshalb freue ich mich schon darauf, in kurzer Zeit einen simplen, aber dennoch sinnvollen Aufsatz darüber schreiben zu können. Wenn es doch nur immer so einfach sein könnte ...

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