Mittwoch, 5. Juni 2013

Der Blog ist tot - es lebe der Blog

So kann es nicht weitergehen.  Oder vielmehr: Weder so noch so kann es weitergehen.

Da breche ich mir einen ab, jede Woche einen gehaltvollen Blogpost zu schreiben, und was ist die Reaktion? "Du schreibst zu oft, ich komme gar nicht nach mit lesen." "Deine Posts sind so lang, da muss ich meine Mittagspause überziehen." "Ich bin immernoch im Februar."Also gebe ich mir eine Woche frei. Und plötzlich sind vier Wochen rum, ohne dass ich geschrieben habe. Wer, bitte, hat an da an der Uhr gedreht?

Meine verzweifelten Versuche, es in der letzten Woche zu einem Blogpost zu bringen, sind größtenteils an meinem aktuellen Tagesablauf gescheitert. Ich schreibe nämlich gerade einen Aufsatz zum zweiten Mal. Die erste Fassung ist drei Jahre alt und war ein kleiner, nicht ganz ernst gemeinter Vortragstext. Nach einem Jahr sollte der dann plötzlich in einer renommierten Fachzeitschrift erscheinen und musste ganz schnell ergänzt und überarbeitet werden. Es hat dann zwei Jahre gedauert, bis ich wieder von der Redaktion der Zeitschrift gehört habe (und - hier ist die Pointe - ich bin der erste Beiträger für dieses Heft, bei dem sie sich bis jetzt gemeldet haben). Der Chefredakteur war zwischendrin schwer krank, was natürlich viel entschuldigt, aber die Bearbeitungszeit relativiert sich auch aus dem Grund, dass er mir für einen achtzehn Seiten langen Aufsatz über zwanzig Seiten Bemerkungen geschickt hat. Und zwar in einer E-Mail, als Fließtext. Wir leben schließlich nicht im 21. Jahrhundert, wo man Anmerkungen in eine Textverarbeitungsdatei einarbeiten kann. Da der Kollege aber mittlerweile jenseits der Siebzig sein dürfte, habe ich mich schon gefragt, ob nicht ein Teil der Bearbeitungszeit daher rührt, dass seine Sekretärin erst noch seine handschriftlichen Notizen abtippen musste ...

Nachdem ich zwei Wochen lang ernsthaft überlegt habe, alles Renommee in den Wind zu schießen und den Aufsatz zurückzuziehen, habe ich das einzig männliche getan und den Aufsatz noch einmal neu geschrieben, von Anfang an. Ich verwerte natürlich Teile der ersten Fassung wieder - bis jetzt ganze zwei Nebensätze. Ich weiß nicht, wann in meinem Leben ich zuletzt so verunsichert vor dem Computer gesessen habe. Normalerweise schreibe ich auch nicht schnell, wenn es um wissenschaftliche Texte geht, aber im Moment ist es einfach lächerlich. Heute habe ich es auf sechshundert Wörter gebracht, und zwar in - Pausen abgezogen - vollen acht Stunden Arbeit. Das sind durchschnittlich eineinviertel Worte pro Minute. Wenn ich mir das so auf der gedanklichen Zunge zergehen lasse, fällt mir dazu ein Wort ein, für das ich keine Minute zum Schreiben brauche.

Agonie.

Tatsächlich: zwei Sekunden. In dem Tempo hätte ich also heute 14.400 Worte schreiben können. Multipliziert man das mit den sechs Tagen, die ich jetzt am Stück, zehn bis vierzehn Stunden am Tag am Schreibtisch verbracht habe, müsste ich also bei 86.400 Worten sein. Nach E. M. Forster's immer nützlicher Definition hat ein Roman mindestens 50.000 Worte; für diejenigen, die meinen, ich würde hier immer Romane schreiben, sollte das der ausreichende Gegenbeweis sein. (Tatsächlich geschrieben habe ich immerhin gut 4000 Worte in der Zeit. Es geht manchmal also doch etwas zügiger. Der Text ist aber auch bestenfalls halb fertig.)

Worauf ich eigentlich hinaus wollte? Nun ja, auch nach fast vier Jahrzehnten intensiver Lektüre von Superheldencomics habe ich weder meinen Körper noch meinen Geist genug gestählt, als dass ich so eine Ochsentour unbeschadet überstehen würde. Aktuell fühlt sich mein Nacken so geschmeidig an, als hätte sich eine Schildkröte in meinem T-Shirt versteckt. Wäre auch logisch, weil sie auf diesem Wege an meine matschige Rübe herankäme ... Anders gesagt: Rein körperlich verstehe ich gut, wie Kafka auf den Gedanken gekommen ist, eines Morgens als Insekt aufzuwachen. (Kleiner Internet-Tipp: Macht keine Google-Bildersuche nach "Turtle Man". Echt nicht. Kein schöner Anblick. Schon zurück? Hab ich doch gesagt, oder?)

Wo war ich? Schildkröte, richtig. Worauf ich die ganze Zeit hinaus wollte, war eine neue Blog-Politik. Ich habe mir vorgenommen, jetzt eben keine langen Einträge mehr zu schreiben, sondern öfter mal kurze oder ganz kurze. Vielleicht einen Anti-Twitter-Post mit weniger als 140 Zeichen. Vielleicht sollte ich mein eigenes Micro-Blogging-Portal aufmachen, auf dem man nicht total wenig, sondern total langsam schreiben muss. Für Schildkröten-Blogger, sozusagen. Und statt einem Tweet schickt man dann einen Turt. Na ja, daran muss ich wohl noch arbeiten.

Das mit dem Kurzfassen mach ich aber doch schon ganz gut, oder?

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