Sonntag, 28. April 2013

Olaf Normalverbraucher

Das Leben in einer anderen Stadt macht einem vieles über den heimischen Alltag bewusst. Kurz nach meiner Ankunft habe ich ja immer wieder bemerkt, welche kleine Annehmlichkeiten einem fehlen, wenn man irgendwo neu ist, und wie man beispielsweise Geldprobleme der ganz anderen Art haben kann. Im Urlaub hat es den Charme der Fremdheit und eines kleinen Abenteuers, wenn man mit Umrechnungsfaktoren und sonderbaren Münzen gleichzeitig kämpft, wann immer man etwas bezahlt. Die Aussicht, dass das längerfristig so bleiben könnte, ist dann doch eher unangenehm ... Natürlich legt sich das dann irgendwann. Mittlerweile kenne ich die dänischen Münzen und Scheine gut genug, auch wenn ich alles mit der Bankkarte bezahle, ganz wie die Einheimischen. Das sind die Elemente eines normalen Lebens, die man anfangs spürbar vermisst und die dann irgendwann wieder etabliert sind, ohne dass man es so recht merkt.

Das geht am anderen Ende der Skala natürlich genauso. Die Seiten des Alltags, die man nicht vermissen würde, holen einen auch irgendwann ein. Ich spreche noch nicht einmal vom Waschen, Putzen und so – auch das sind schließlich Arbeiten, die einem dann auch eine notwendige Annehmlichkeit verschaffen. Ich zumindest schätze nicht nur ein gewisses Maß an Sauberkeit, ich brauche es. Die weniger willkommenen Alltagserfahrungen sind die Routinen, die ich gern hinter mir lassen würde. Es ist bestimmt schon zwei Wochen her, dass ich abseits meiner Ameisenstraße unterwegs war. Jeden Tag fahre ich zur Uni, oder ich laufe, aber das ist es auch schon an Abwechslung. Nächste Woche sind zwei Aufsätze fällig, ein Vortragsentwurf, und drei halbfertige, längst überfällige Texte stecken noch irgendwo dazwischen. Mehr als eine halbe Stunde zwischendrin – für einen Blogpost, zum Beispiel – gestehe ich mir kaum zu, weil sonst das schlechte Gewissen zu groß wird. Diese Situation hätte ich hier gern vermieden, das ewige Schreiben auf Termine, die sich immer ballen, egal wie sehr man sie zu entzerren versucht.

Was nicht heißen soll, dass es mir nicht gut ginge und ich nicht noch immer massig Dinge tue, die sich normalerweise als Spaß qualifizieren würden. Diese Woche habe ich tatsächlich in den Abenden noch die Zeit gemacht, um das irgendwie großartige und doch etwas enttäuschende Bioshock Infinite zu spielen. Vorm Schlafengehen und zum Frühstück gönne ich mir ein bisschen mitgebrachtes Qualitätsfernsehen, und zu Recherchezwecken schaue ich mir für unseren Zombie-Aufsatz jeden Tag mindestens eine halbe Stunde Youtube-Videos von Zombie-Spielen oder -Filmen an. Aber gerade an den Wochenenden rede ich den Tag über vielleicht ein halbes Dutzend Worte, sitze in meinem Zimmer, der U-Bahn, S-Bahn, im Büro. Abgesehen von dem nobelpreiswürdigen höhenverstellbaren Schreibtisch gibt es nichts, was mich zwischendrin daran erinnert, dass ich nicht an einem x-beliebigen anderen Ort arbeite, sondern im schönen Kopenhagen. Im Moment könnte ich auch in einem Bunker untergebracht sein, ich würde den Unterschied wahrscheinlich nicht merken.

Wie gesagt: Ich beschwere mich überhaupt nicht. Es ist eher so, dass ich es ein bisschen schade finde, dass ich nicht schnell und effizient genug arbeite, um mir mehr echte Freizeit zu verschaffen. Aber wenn ich ganz ehrlich bin, würde ich selbst dann wahrscheinlich nicht wirklich viel unternehmen. Die Museen, der botanische Garten, die Nationalbibliothek – natürlich will ich die noch alle sehen. Der eigentliche Grund, aus dem ich hier bin, ist aber letztlich doch die Forschung, und deshalb fühlt sich im Moment jeder noch so obskure (und oft schlechte) Zombiefilm relevanter als ein noch so schönes Museum. Und so schaue ich durch einen Bildschirm in andere Welten, in denen Menschen in andere Welten ausbrechen wollen ...


Schöne neue Welt.

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