Sonntag, 7. April 2013

Produkt des Monats: Ohropax

Für gewöhnlich sind die Dänen ein freundliche, umgängliche und rücksichtsvolle Zeitgenossen.

Sie können aber auch anders. Das habe ich sogar schriftlich.

Wie sich das für ein halbsozialistisches Land gehört, gibt es im Hausflur direkt gegenüber der Briefkästen ein schwarzes Brett. Seit letztem Wochenende hängt da ein handgeschriebener Zettel, dessen Kernaussage sich selbst meinem begrenzten Dänisch problemlos erschlossen hat: "Am Samstag feiern wir Einweihung unserer neuen Wohnung." An dieser kurzen Notiz sind mir gleich drei Dinge auf die Nackenhaare geschlagen: erstens die Kinderhandschrift, die auf sehr junge Nachbarn hindeutet; zweitens die beiden unterzeichnenden Männernamen, untrügliches Zeichen einer Junggesellen-WG; drittens der Zeitpunkt der Ankündigung. Am Osterwochenende einziehen und am Monatsersten schon auf die geplante Party hinweisen ist etwas, das nur U21 als ein Zeichen von Höflichkeit und guter Nachbarschaft interpretiert werden kann. Für Menschen, die sich schon einmal überwinden mussten und einer Party die Polizei auf den Hals gehetzt haben, zeugt so eine Notiz von tief verwurzelter, kaum noch zu bändigender Feierlaune, deren von langer Hand geplantes Überdruckventil viel weniger der Nebeneffekt als der einzige Zweck einer eigenen Wohnung ist. Oh, mir fällt gerade viertens ein: schon im Voraus wissen, dass man derart Krach schlägt, dass man nicht nur im eigenen, sondern auch gleich in allen Nachbarshäusern einen Zettel aushängt.

Nach einer ganzen Woche Vorfreude ist mir dann unmissverständlich vor Ohren geführt worden, dass junge Dänen genauso denken wie junge Deutsche: "Meine doofen Eltern sind voll die Spießer; rummerckern, nur weil meine dreißig Kumpels nach dem zehnten U-Boot ein bisschen singen. Das geht ja gar nicht. Hab ich mich voll geschämt."

Wir haben so etwas alle schon einmal erlebt (wenn auch vielleicht nicht als feierwütige Halbstarke, sondern in einer der anderen Rollen in diesem Trauerspiel). Natürlich ist die einzig erwachsene Lösung für den in seiner Autonomie beschnittenen Erstwähler und Führerscheinneuling, stehenden Fußes das elterliche Domizil zu verlassen, im Idealfall mit finanzieller Unterstützung der bornierten Vorgängergeneration. Natürlich werden besagte dreißig Kumpels mitsamt ihren Bieren, Schnapsgläsern und -flaschen in eine Dreißig-Quadratmeter-Wohnung in einem fünfstöckigen Mietshaus eingeladen, noch bevor die Tinte auf dem Mietvertrag trocken ist, und den Nachbarn eine freundliche Notiz ans schwarze Brett gehängt, in der zwischen den Zeilen recht unmissverständlich steht: "Wir haben Euch doch gesagt, dass wir Party machen, also stellt Euch mal nicht so an, wenn's um Mitternacht noch ein bisschen laut ist (und danach nur noch lauter wird)."

Nachdem wir in Saarbrücken zehn Jahre lang zwischen Dauerbaustelle und soziopathischen Sozialkrüppeln in einem Schuhkarton gewohnt haben, dessen Schlafzimmerwand Resonanzeigenschaften hat, die jeden Glockenbauer und Opernarchitekten blass vor Neid werden lassen, kann ich letzten Nacht aber mit einem gewissen Maß an Beruhigung in folgender Formel zusammenfassen:

dBmax(Party)
------------------- <= dBDämpfung(Ohropax) 
Distanz

Also selbst wenn sich die freundlichen Nachbarn in Zukunft als gute Gastgeber erweisen und die verbleibenden Wintermonate (April und Mai) weiterhin nach Kräften ausnutzen, um eine mannshohe Bierkistenpyramide auf ihrem Balkon zu kühlen (und regelmäßig zu erneuern), muss ich mir keine Sorgen machen. Fairerweise muss man aber auch anmerken, dass ich letzte Nacht hundemüde war, weil ich schon die beiden Nächte davor nicht gut geschlafen habe. Mein Mitbewohner Lars hat dieses Wochenende (das heißt: Donnerstag bis Montag) seiner dreijährige Tochter, und die drückt ihr Unbehagen egal welchen Ausmaßes durch markerschütterndes Weinen aus. Gern auch um zwei Uhr nachts. Naiv wie ich bin habe ich mich erkundigt, ob die Kleine krank sei, woraufhin der stolze Vater mich darüber aufklärt, dass sie eben so reagiert, wenn sie sich in der Bettdecke verheddert. Oder ihre Leggings zu den Knien hochrutschen. Oder das Essen nicht schmeckt, zu warm oder zu kalt ist. Oder es Hühnchen gibt (eigene Kategorie, außer Konkurrenz). Oder die Unterhose kneift. Und das sind nur die Fälle von vorgestern und gestern, die ich eruieren konnte.

Heute Abend hat Lars Ausgang, und seine Mutter ist da, um die Kleine zu hüten.

Wo habe ich bloß die Ohropax hingelegt ...

2 Kommentare:

  1. Sheldon... falls Du BigBang Theory kennst, kannst du unverkennbare Parallelen hier erkennen. ;)

    Man hat bei solchen Zeitgenossen ja nur 2 Möglichkeiten:

    1. Bei entsprechender DB Zahl durch die dünne Wand diffundieren, den Personen die dann sicherlich offenen Mundes, staunend den erscheinenden Nachbarn bewundern, die Musik leiser drehen.

    oder

    2. Sich einfach an die Jugend erinnern und daran denken, wie es damals im Proberaum war als ein gewisser Gitarrist garnicht laut genug seine Akkorde anstimmen konnte, um nachher fröhlich ein kühles Gerstensaftgebräu die Kehle runterzuspühlen. :)

    LG
    S

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  2. Was soll ich sagen: Jetzt ist wohl nicht mehr zu verbergen, dass Sheldon Cooper, PhD, mein geheimes Vorbild ist. Und ganz von den Nachbarn und ihrem jugendlichen Ungestüm abgesehen sollte ich ich meinem Mitbewohner wirklich mal ein Roommate-Agreement vorschlagen. Im Moment zeichnet sich hier nämlich haltlose Anarchie ab: Ich fürchte, seine Mutter hat gestern mein Essen berührt ;-)

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