Dienstag, 16. April 2013

Wetterfühligkeit, nordisch

Heute könnten wir zum ersten Mal etwas gehabt haben, was sich nach mitteleuropäischen Maßstäben als "schönes Wetter" qualifiziert: Sonne und etwa 15 Grad. Es war schon ein paar Tage lang milder, aber noch immer ist nicht alles Eis getaut. Auf meinem Spaziergang zurück von der Arbeit bin ich vorhin tatsächlich noch an einem dick vereisten Bach vorbeigekommen, dessen hohe Ufer ihn konstant vor der Sonne schützen. So ein Mikroklima wäre in unseren Breiten vielleicht bemerkenswert; hier scheint jeder Einheimische eins zu haben. Ich spreche nicht von der Minirock-neben-Daunenjacke-Konstellation, denn die ist hier Standard. (Aus den Oberschenkeln junger Däninnen müsste sich ein Kälteschild für Tiefseeexpeditionen gewinnen lassen.) In Kopenhagen geht das noch ein paar Nummern krasser. Meine drei Highlights von eben: 1. Die Jungs vom Rundfunk, die mit freiem Oberkörper Fußball spielen. 2. Die überaus rüstige Großmutter im Spaghettiträgertop, die in ihrem Schrebergarten den plärrenden Enkel im vollen Schneekampfanzug samt Pudelmütze unter den Sonnenschirm schiebt. 3. Die beiden jungen Frauen, die beharrlich in ihren Pelzen im Schatten stehenbleiben, während sich ihre Hunde fast strangulieren beim Versuch, ein paar Sonnenstrahlen abzubekommen. (Fürs Protokoll: Es waren Möpse – nur für den Fall, dass jemand glaubt, ich könnte einem schlüpfrigen Kalauer nicht aus dem Weg gehen, selbst wenn er sich einem geradezu gewaltsam aufdrängt ... )

Das Wetter ist mit Sicherheit nicht das Spektakulärste, von dem es zu erzählen gibt, aber dennoch kann ich nicht anders, als mich jeden Tag aufs Neue darüber zu freuen, den vollen Aprilirrsinn in einer geringfügig anderen Klimazone mitzuerleben. Zugegeben, die Freude hält sich bei Sturm und Regen eher in Grenzen, aber bis jetzt war das Wetter in der Hinsicht auch eher nett zu mir. Ganz davon abgesehen, dass ich ja, anders als die Einheimischen, nicht mit dem Rad unterwegs bin und mit öffentlichen Verkehrsmitteln tatsächlich trockenen Fußes von A nach B kommen kann. Zumindest, wenn wegen des Wetters nicht irgendwas ausfällt und die Bahnsteige aussehen wie in einer "richtigen" Metropole zu jeder Stoßzeit. Aber selbst dann ist man ganz froh, wenn man erst einmal in der S- oder U-Bahn drin ist, denn die Dänen drängeln auch nicht. Na ja, tu sie schon, aber in einem Maß, dass verglichen mit (besonders asiatischen) Nahverkehrskonventionen immer sehr freundlich und höflich bleibt. Den tokyoter Bahnbeamten, der mit seinen weißen Handschuhen Leute durch die Bahntüren schiebt, weil noch ein bisschen Atemluft im Waggon übrig war, kann man sich hier jedenfalls nicht vorstellen.

Aber das Wetter hier ist generell schon sehr gastfreundlich. Vorm Wochenende habe ich beispielsweise begonnen, für die letzte Seminarsitzung in diesem Semester (so weit ist es hier nämlich bald schon) noch ein bisschen mehr Forschungsliteratur zu lesen. Da es zu unserem Spezialthema "Zombie-Computerspiel" nicht so wahnsinnig viel Forschung gibt, läuft das auf "Horror im Computerspiel" hinaus, was immer noch eine recht überschaubare Textmenge ergibt. In diesen Aufsätzen wiederum dreht es sich meistens um Konsolenspiele für Playstation 1 und 2 oder Nintento Gamecube, also Plattformen, die ich nur von Ferne kenne.

Lange Rede, kurzer Sinn: Nach mehreren Stunden auf Youtube, in denen ich mir zumindest mal aus zweiter Hand einen Eindruck von Perlen wie Fatal Frame und Silent Hill verschafft habe, bin ich aus dem Gebäude raus und in einen Nebel rein, der wie Sprühsahne über der Stadt geklebt hat. Nur für den Fall, dass sich da auch Gespenster verstecken, habe ich dort dann erst einmal fotografiert. Man weiß ja nie. Die Ähnlichkeit der Ergebnisse hat mich schon ein bisschen schockiert, aber ich habe noch nicht nach Untoten auf dem Foto gesucht. Da das links im Bild die Konzerthalle ist, hätte ich aber bestimmt gute Chancen, welche zu finden.

Ganz von den Scheußlichkeiten abgesehen, die sich im hiesigen Nebel verbergen, werde ich in nächster Zeit bestimmt noch das ein oder andere Mal auf mein aktuelles Forschungsgebiet (fängt mit Z an und hört mit ombie auf) zurückkommen müssen – allein schon, weil ich mit meinem Kollegen Espen zusammen nun doch noch einen Artikel zu dem Thema schreibe, und zwar in den nächsten drei Wochen, weshalb ich im Moment wenig anderes im Kopf habe als missgelaunte, dauernd hungrige Individuen mit unstillbarem Appetit, vorzugsweise auf Menschenfleisch. Es ist ein harter Job, aber irgendwer muss ihn ja tun.

Oder will etwa jemand mit mir tauschen?








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