Samstag, 22. November 2014

Grachtenmode



Für meine letzte Tagung 2014 hat es mich nach Amsterdam verschlagen, zum ersten Mal überhaupt, und ich muss sagen, ich mag die Stadt! Die letzten Tage waren ausgesprochen anstrengend, und ich habe es mit Müh und Not geschafft, wenigsten die allernotwendigsten Vorbereitungen für diesen Trip zu treffen – wozu das Besorgen von Kartenmaterial nicht gezählt hat. Dementsprechend bin ich zwar ohne jedes Problem von Schiphol in die Stadt gekommen, hab mich dort dann aber mit ziemlich spärlichen Informationen und ohne Stadtplan auf die Suche nach meinem Hotel gemacht. Auf direktem Weg hätte ich eine halbe Stunde brauchen sollen, und trotz etwas Suchen bin ich in fünfzig Minuten angekommen, was aber weniger für meinen Orientierungssinn spricht (der hier nämlich massiv überfordert ist) als für die an sich sehr übersichtliche Stadt. 

Nach dreieinhalb Stunden Treibenlassen in den Gassen der Altstadt muss ich sagen, dass Amsterdam vielleicht das meiste oder doch zumindest das eigenste Flair aller europäischen Metropolen hat, die ich kenne. Paris, London und München sind hektische Diven, Rom und Barcelona entspannte Matronen, Kopenhagen und Stockholm ältliche Lehrerinnen; Amsterdam ist das freche Girlie mit schlecht gemachten Haaren, Jogginghose und Versace-Top. Nein, ich will gar nichts auf ‚mein‘ Kopenhagen kommen lassen – es ist eine wirklich schöne Stadt –, aber dort ist die Spannung zwischen dem nüchtern-puritanischen Erbe und der neu gefundenen Jugendlichkeit der letzten Jahrzehnte doch sehr ausgeprägt. Die Kopenhagener sind, egal wie hip sie sich geben, letztlich sehr normal und fast schon ein bisschen spießig. Verglichen damit sind die Amsterdamer bunter, ungepflegter, noch entspannter. Nein, das ist kein versteckter Verweis auf die hiesige Drogenkultur, sondern nur ein erster Eindruck. Und noch eins hat mich bis jetzt sehr beeindruckt: selbst aus einer Stadt kommend, die sich viel darauf einbildet, angeblich das meiste und beste Englisch aller nicht-englischsprachigen Städte zu sprechen, ist das Englisch-Niveau hier beeindruckend. Das Englisch sitzt dem Amsterdamer sehr locker, fast schon in erschreckendem Maß. An der Supermarktkasse könnte man doch zumindest erst einmal auf Verdacht die Muttersprache zum Einsatz bringen …

Natürlich stimmen die ganzen Klischees, aber sie machen die Stadt nicht nur besonders, sondern lenken auch den Tourismus ein bisschen in Bahnen. Ich hatte vorher ein bisschen die Befürchtung, dass die Cannabis-Touristen die Gesamtstimmung verderben könnten, aber auf den ersten Blick würde ich eher das Gegenteil behaupten – zumindest nachmittags, das mag nachts anders sein. Ja, es ist im ersten Moment ein bisschen verstörend, wenn man sich eine Kirche von außen anschaut, dabei den Duft von Gras in der Nase hat und von der anderen Straßenseite von Prostituierten aus ihren Glaskästen heraus zugewunken bekommt. Aber mal ganz ehrlich: Kirchen in Ruhe anschauen kann man sich überall, während einem so etwas wohl nur an ganz wenigen Orten der Welt passieren dürfte. Und bevor das jetzt als Zynismus des alten Agnostikers ausgelegt wird: Drogen und Prostitution auf dem Kirchenvorplatz haben sicher eine Tradition, die weit übers Mittelalter hinaus reicht.

Das gleiche gilt für das völlig chaotische Nebeneinander der Gewerbe. Sexshop, Bäckerei, Juwelier, Museum, Coffee Shop, Bar, Souvenirladen, Restaurant, Bordell, Friseur. Klar kann auch das ein bisschen irritieren, aber verglichen mit der Normalität überall sonst ist das schon sehr, sehr spannend. Klar muss man zwischen den Betrunkenen, Bekifften, Radfahrern und Touris schon aufmerksam navigieren, aber auch da habe ich sonstwo viel Schlimmeres erlebt. Wenn man darauf konditioniert ist, von Radwegen unten zu bleiben, kann man auch überall problemlos mal stehenbleiben und fotografieren, etwa die Generalprobe zu einer Lichterfest-Performance auf dem Dam. In den ernsthafteren Städten würde man da gern mal angerempelt oder zumindest leise angemault. Falls die das hier auch machen sollten, tun sie es ausgesprochen diskret – was eigentlich nicht ins Bild passen würde, weshalb ich mal davon ausgehe, dass den Amsterdamern auch die Touristen egal sind. 

Erstaunlicher Menschenschlag!

1 Kommentar:

  1. Nach Amsterdam hab ich es, wenn ich deinen Bericht so lese muss ich fast sagen leider, noch nicht geschafft. Mich würden ja die Kunstmuseen wahnsinnig reizen! Wir waren aber schon in Rotterdam und Den Haag, das fand ich auch sehr relaxed. Vor allem Den Haag hat mich wahnsinnig überrascht, ich hatte mir das wesentlich nüchterner vorgestellt. Das die Niederländer so extrem gut Englisch können hat mich auch sehr gewundert. Wir haben allerdings öfter dort Fernsehen geschaut und das war überwiegend in Englisch mit Untertiteln.Ich vermute einfach mal, dass das kombiniert mit Englischunterricht an den Schulen, zu einem ziemlich guten Sprachverständnis geführt hat.

    Gerade der Umgang mit Touristen hört sich übrigens sehr konträr zu Berlin an. Ich gebe aber ehrlich zu, ich finde sie nach über 2,5 Jahren auch manchmal ein bisschen nervig. Wenn man einfach nur schnell zur S-Bahn will und 10 junge Touris stehen direkt am Abgang der Rolltreppe und schauen auf den Plan in der Hand...da wünschst du dir manchmal schon eine BFG ;-) Ich bin halt in unserem beschaulichen Städtchen nicht mit solchen Menschenmassen großgeworden :-D

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