Dienstag, 3. September 2013

Große Fische, nicht ganz so große Fische

Falls mein letzter Post so klang, als müsste man nicht unbedingt nach Atlanta reisen, ist dem eigentlich nur wenig hinzuzufügen. Das soll nicht heißen, dass ich die Konferenz nicht genossen hätte - dazu gleich mehr -, sondern nur, dass die Stadt wirklich wenig zu bieten hat. Die World of Coca Cola habe ich ja schon mit ja schon hinlänglich mit fasziniertem Abscheu beschrieben, und sonst scheint da auch wenig sonst Touristen anzuziehen. Mit einer Ausnahme, dem Georgia Aquarium: Vor nicht allzu langer Zeit war es wohl das größte seiner Art, und selbst heute noch ist es wirklich sehr beeindruckend. Ich besuche Zoos und Aquarien sehr gern, wenn auch immer mit gemischten Gefühlen - eine gute Freundin hat in der Beziehung das Wort 'Tiergefängnis' unauslöschlich in mein Hirn gebrannt -, und auch hier habe ich mich oft gefragt, inwieweit es artgerecht sein kann, Tiere in dieser Form zu halten und auszustellen. Aber, ganz ehrlich: spätestens wenn ich durch ein acht Meter hohes und 24 Meter breites Fenster drei Walhaien beim Schwimmen zusehe, vergeht mir jede Kulturkritik. Und einen Ort, der einen Haie-Streichelzoo hat, muss man einfach mögen ...

Vom Aquarium aus den kurzen Weg in den eigentlichen Stadtkern zurückzulegen bedeutet dann aber eine schnelle und schmerzliche Rückkehr in die amerikanische Normalität. Ein Stück Weg führt durch den Olympia-Park, der ziemlich steinlastig ist, weil jeder Geldgeber seinen eigenen gravierten Pflasterstein bekommen hat und wohl die halbe USA zu dem Projekt beigetragen haben. Danach wird es dann richtig lauschig, wenn man zwischen der Amerikanischen Gesellschaft für Krebsforschung, Baustellen und Parkhäusern durch muss und sich die ganze Zeit über nur fragt, wo die zehntausende Menschen sind, die es braucht, um mehrere Häuserblocks mit fünfzehnstöckigen Parkhäusern zu füllen. Und wenn man dann in der Innenstadt ist, hat man fürs Mittagessen die Wahl zwischen Hooters und Hard Rock Café. Das war zwar einigermaßen amerikanisch und deshalb nur halb enttäuschend, aber ich sollte keinesfalls meckern, weil ich so wenigstens zu einem Foto von mir und der abgesägten Schrotflinte von Elvis gekommen bin. 

Und ab dem Beginn der Konferenz haben wir unser Hotel, das Georgian Terrace, auch eigentlich nur noch verlassen, um in der Kneipe auf der anderen Straßenseite einen Trinken zu gehen. Das Hotel schimpft sich selbst "der moderne Klassiker" unter den Hotels der Stadt. In erster Linie heißt das, dass man irgendwann an ein mittlerweile über hundert Jahre altes zehnstöckiges Hotel noch einen zweiten, doppelt so hohen Turm angebaut hat, und zwar auf die einzig logische Art. Von außen sieht man eigentlich keinen Unterschied, wenn man nicht drauf achtet, und von innen letztlich auch nicht. Anders gesagt: zwei Fahrstühle für zwanzig Stockwerke sind ein bisschen wenig. Der Eindruck entsteht einem nicht zuletzt, wenn man von ganz oben in den Lichthof über der Lobby runterschaut. Ab einer Höhe, bei der mir schwindlig wird, hätte ich gern andere Optionen als ein Treppenhaus oder zehn Minuten Wartezeit. Aber der Pool auf dem Dach hat eindeutig Miami Vice-Feeling durch den wirklich netten Blick auf die Stadt (auch wenn es da nicht viel zu sehen gibt, aber das hatte wir ja schon). Und vielleicht sind meine Erinnerungen an den Pool auch deshalb so positiv, weil wir an einem verhangenen Nachmittag mit mehreren Armen voll Dosenbier dort waren. Wer weiß.

Die ästhetische Theorie des großartig tätowierten John Sharp
Bevor jetzt jemand denkt, wir wären nur zum Spaß in Atlanta gewesen, muss ich entschieden auf die herausragende Qualität des wissenschaftlichen Programms hinweisen. Einige der Vorträge haben mich ... inspiriert, könnte man sagen. Unter Europäern gibt es das Vorurteil, dass Amerikaner generell lockerer wären als wir, was so ganz und gar nicht stimmt. Aber auf der Konferenz einer amerikanischen Vereinigung in Amerika gibt es einfach eine Menge amerikanischer Forscher, und viele von denen sind schon sehr entspannt drauf, wenn es um Wissenschaftlichkeit und Präsentationstechniken geht. Und davon können wir sicher einiges lernen.

Insgesamt, nicht nur was die Vertreter der Gastgeberlandes angeht, war die Konferenz voll von Rockstars - Rock, denn wo ich sonst mit komischem Bart und T-Shirt statt Anzug in Deutschland schon manchmal im Unibetrieb als Paradiesvogel auffalle, war ich hier einer der Normalos; und Stars, weil es eben ein Treffen der Crème de la Crème war. Nach einem halben Jahr als Diskussionspartner eines der Begründer des Faches habe ich mich schon einigermaßen daran gewöhnt, mit den großen Jungs (und Mädels) mitzuhalten und mich nicht beeindrucken zu lassen. Aber dadurch, dass es die Computerspielforschung im engeren Sinn erst so kurz gibt und selbst die Grundlagentexte vor der eigentlichen Fachgründung noch keine zwanzig Jahre alt sind, trifft man eben sehr viele große Namen. Ich könnte es nicht mit Gewissheit sagen, aber ich glaube nicht, dass ich während der Veranstaltung ein einziges Mal in einem Vortrag war, in dem nicht jemand auf dem Podium oder im Plenum gesessen hätte, den ich in meiner Dissertation zitiert hätte. Gerade bei den Podiumsdiskussionen hat das mitunter bizarre Ausmaße angenommen. Wenn es eine Philosophietagung gewesen wäre, hätten da Sokrates und Aristoteles vor den Leuten miteinander rumgestritten, Thomas von Aquin wäre per Skype zugeschaltet gewesen, Kant hätte zu moderieren versucht und Augustinus immer wieder aus dem Publikum dazwischengeblökt.

Podiumsdiskussion mit Sicart, Bogost, Mateas und Consalvo
Dass die Veranstaltung trotzdem nett war lag daran, dass die meisten dieser Rockstars eigentlich richtig nette Leute sind. Sie geben sich trotzdem als Rockstars, spielen ihre Rolle mit ihren sorgsam gefönten, gegelten oder verfilzten Haaren, sagen sich in Diskussionen ständig, was sie schon vor zehn Jahren zu dem Thema geschrieben haben, und bemühen sich dennoch, so unverkrampft zu wirken, wie es einem Akademiker eben möglich ist. Aber wenn sie einmal vom Podium unten sind, behandeln sie einen freundlich und ohne echte Überheblichkeit. Es hat sich die ganze Zeit angefühlt wie hinter der Bühne bei einem Festival: die großen Stars behandeln die Mitglieder selbst der jüngsten, unbekanntesten Band nicht wie Dreck, weil sie selbst noch wissen, wie sie angefangen haben, und dass wir alle nur wegen der Musik da sind. Und des Geldes. Und des Ruhms. Und, seien wir ehrlich, der Bräute. Aber hauptsächlich wegen der Musik. Wir sind eben alle Rockstars, wenn auch vielleicht nur kleine.

Und das ist etwas, dass ich in der deutschsprachigen Wissenschaft nicht nur nicht kenne, sondern mir beim besten Willen nicht vorstellen kann. Aber das ist wahrscheinlich das Thema für einen anderen Post ...

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