Die Welt hat
gestern mit Terry Pratchett einen ihrer großen Lehrer verloren.
Das mag jetzt
klingen, als wollte ich ihn für mich oder meinen Berufsstand vereinnahmen, aber
soll ich mir ernsthaft anmaßen, über ihn als Schriftsteller oder als Menschen
zu schreiben? Wenn Neil Gaiman schon vor Monaten auf seinen Freund und Kollegen
einen wundervollen Nachruf zu Lebzeiten geschrieben hat und literarische
Schwergewichte wie Margaret Atwood ihre Hochachtung vor dem häufig
unterschätzten Sprachkünstler ausdrücken? Wer sollte das lesen wollen, von mir?
Terry Pratchett
war jemand, der sich genau diese Frage immer gestellt hat. Jedes seiner Bücher zeugt
davon, dass da jemand sehr genau hingeschaut und unglaublich viel nachgedacht
hat, und gleichzeitig weise und besonnen genug war, eben nicht in eine Tirade,
Predigt oder Belehrung zu verfallen. Wie kein anderer hat er verstanden, dass
er Menschen unterhalten muss, um sie zu erreichen, und dass man nie neugieriger
und aufnahmefähiger ist als wenn man Spaß hat. Er hat mich immer wieder
gleichzeitig zum Lachen und zum Nachdenken gebracht und mich in jedem Text aufs
Neue daran erinnert, dass dies die wirkungsvollste Weise ist, um eine Idee zu transportieren.
Und damit ist er für mich stets ein vorbildlicher Lehrer gewesen.
Ohne erhobenen
Zeigefinger oder -stock hat er mit Sicherheit in mehr Zwölfjährigen eine Liebe
zu oder doch zumindest eine Aufmerksamkeit für Sprache geweckt als Jahre von
Schulunterricht und Anthologien voll großartiger, aber schwer zugänglicher
Literatur. Jeden, der schreibt, weisen seine Texte auf die Notwendigkeit zu irre
viel harter Arbeit hin, aber nicht in Form einer Ermahnung, sondern durch ihre
Beispielhaftigkeit. Klar sind da oft Passagen, die wir so oder ganz ähnlich
schon ein Dutzend Mal gelesen haben, doch in seinen besten Momenten – und von
denen hatte er so viele – hat er Sätze konstruiert, die die die Grammatik und
das Vokabular des Englischen bis weit über die Grenze dessen hinausgeführt haben, was eigentlich machbar
sein sollte. Diese unendliche Sensibilität für Sprache hat er mit einem Sinn
für Humor verbunden, der die ganze Palette des Komischen abdeckt – was man,
würde ich behaupten, durch die Menschheitsgeschichte hindurch nur ganz selten
findet. Und noch dazu hat er sämtliche Register des literarischen beherrscht
und mit Romanen wie The Fifth Elephant komische,
politische Action-Thriller geschrieben, die uns aber nicht wegen ihrer
perfekten Konstruktion im Gedächtnis bleiben, sondern wegen der Menschlichkeit
ihrer Figuren, auch und gerade, wenn es sich bei ihnen eben nicht um Menschen
handelt. Seine Verbindung aus Sprachgewalt, Humor, Scharfsinn und Ehrfurcht vor
dem Menschlichen muss für seinen Schriftstellerkollegen eine vielleicht
bittere, aber sehr lehrreiche Lektion darin gewesen sein, dass
Vielschichtigkeit und Tiefe nicht das gleiche sind wie bitterer Ernst.
Was mir
ungeheuren Trost gibt, ist das Bewusstsein – nicht die Hoffnung oder der
Wunsch, sondern die absolute Gewissheit –, dass seit gestern überall auf der
Welt Menschen jeden Alters wieder eines seiner Bücher in die Hand nehmen. Ob
sie nur daran zurückdenken, wer es ihnen geschenkt hat, nostalgisch nach ihrer
Lieblingsstelle zu blättern anfangen und dann doch irgendwann einen Stuhl vors
Regal ziehen, oder gleich kapitulieren und es sich mit einer Tasse gemütlich
machen – ganz gleich wie, er vereint uns zu einer bunten, weit verzweigten
Familie, der man das wunderschöne Kompliment machen kann, dass sie gerne
miteinander lacht.
Meine Hoffnung
ist, dass er in seinen letzten Wochen und Monaten noch in der Lage war, sich
das bewusst zu machen. Denn selbst in der Art, wie er von uns gegangen ist, hat
er uns noch eine Lektion mitgegeben. Ich spreche nicht so sehr davon, dass sein
Beispiel hoffentlich die Debatte um selbstbestimmtes Sterben neu belebt,
sondern vor allem von der Tatsache, dass wir ihm auf die ein oder andere Weise
beim Sterben zuschauen mussten. Das Wissen um seine Krankheit ebenso wie seine
letzten Bücher, die immer länger wurden, so als wollte er uns noch mehr mit auf
den Weg geben oder einfach nicht loslassen, haben uns Zeit gegeben, um Abschied
zu nehmen, uns mit der Realität abzufinden und nach vorne zu schauen. Und eben
zu hoffen, dass er noch ganz bis zum Schluss wusste, dass er beim Tod einen
mächtigen Stein im Brett haben muss.
(Diesen Nachruf haben auch meine wunderbaren Kolleginnen von Literatur & Feuilleton übernommen. Vielen Dank dafür!)
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