Einer der unterhaltsamsten Zeitvertreibe auf wissenschaftlichen Tagungen ist, andere beim Kennenlernen zu beobachten und ihre notdürftig kaschierte Irritation oder Geringschätzung zu bemerken. Nun liegt es irgendwie in der Natur der Sache, dass sich Menschen, die man regelmäßig ans Pult von Vorlesungssälen stellt, für cleverer als andere halten. Die Dynamik, die das unter Kollegen mitunter gewinnt, ist aber wirklich unterhaltsam (solange man sich das von außen anschauen kann). Der Goethe-Spezialist hält sich prinzipiell für die Krone der Schöpfung, wird aber vom Shakespeare-Experten müde belächelt, während sich der Nachwuchswissenschaftler mit Interesse an Twitter-Haikus über beide Dinosaurier nur wundern kann. Die drei sind sich in der Regel erst dann einig, wenn jemand wie ich aufläuft und über Comics oder Computerspiele redet. Dann wissen sie plötzlich sehr genau, was Literatur ist, was Kunst, und was Wissenschaft.
Ein Teil von mir (ich weiß aber nicht, welcher) freut sich schon auf die Mischung aus Verwunderung, Unverständnis und Amüsement auf den Gesichtern arrivierter Kollegen, wenn ich erzähle, was ich hier so getrieben habe. Die wenigsten Kollegen jenseits der - greifen wir mal nicht zu niedrig - fünfzig werden schon keinerlei Verständnis haben, was ich als Philologe an einer IT-Universität treibe, was sich durch Erwähnung des Begriffs "Computerspielforschung" nicht maßgeblich ändern dürfte. Wahrscheinlich sollte ich denen gegenüber gar nicht erst erwähnen, dass wir in dem Seminar, dass ich mit meinem Kollegen unterrichte, auch einen inhaltlichen Schwerpunkt haben: Zombies.
Aber wir leben ja schließlich auch noch immer im postmodern-ironischen Zeitalter - wie sonst wäre es zu erklären, dass sich Leute in großen Städten Europas regelmäßig den Spaß eines Zombie-Flashmobs machen? Mein Kollege Espen, unsere Studis und ich haben jedenfalls jede Menge Spaß mit Zombies. Und sie sind auch wirklich allgegenwärtig: zwei Kollegen haben sich gestern beim Mittagessen über das Zombie-Spielen ihrer drei und vier Jahre alten Kinder unterhalten. Auch aus der Geschichte der Computerspiele sind sie nicht wegzudenken; von Resident Evil hat ja vielleicht schonmal jemand gehört, auch noch bevor es eine erfolgreiche Filmreihe geworden ist.
Und weil wir hier Spiele ernst nehmen, sind sie tatsächlich auch Teil des Curriculums. Im Moment spielen wir mit unseren Studenten als Gruppe DayZ, eines der schwierigsten, unfairsten und insgesamt ungewöhnlichsten Spiele, die ich kenne. Die Parallelen zum Literaturstudium sind sehr viel größer, als man vielleicht denken würde. Zwar ist es nicht weiter schwierig, an das Spiel selbst heranzukommen (anders als bei manchem vergriffenen Roman), aber die Installation ist ein größerer Horror als alles, was in der Spielwelt passiert, und auch danach verbringt man ebensoviel Zeit damit, sich mit der Technik herumzuschlagen wie mit dem Wegrennen vor Zombies. Auch sonst ist das, was wir tun, weit von einem Spielekränzchen entfernt. Allein schon andere beim Spielen zu beobachten, ist hochgradig aufschlussreich, denn bei Computerspielen hat man diese Gelegenheit ja nur in Ausnahmefällen. Danach ausgiebig darüber zu diskutieren, zu schreiben und die Ergebnisse im Seminar zu präsentieren ist dann methodisch eigentlich genau so wie die Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand in allen anderen geisteswissenschaftlichen Fächern.
Was ich mir in der Beziehung noch genauer ansehen werde, ist die Beziehung von The Walking Dead - dem ziemlich guten Adventure, nicht der grauenhaften Fernsehserie - zu seiner Comic-Vorlage. Es gibt da einige spannende Fragen, aber das ist wahrscheinlich eher etwas für einen anderen Blogpost ...